Der Philosoph unter den Sience-Fiction Autor*innen
Stanislaw Lem zum 100. Geburtstag
„Verlage, die mich in einer mit Science-fiction etikettierten Schublade eingeschlossen haben, taten dies hauptsächlich aus merkantilen und kommerziellen Gründen, denn ich war ein hausbackener und heimwerkelnder Philosoph, der die künftigen technischen Werke der menschlichen Zivilisation vorauszuerkennen versuchte, bis an die Grenzen des von mir genannten Begriffshorizontes.“ (Stanisław Lem)
Stanisław Lem gilt vielen als der Science-Fiction-Autor schlechthin. Und doch ist noch ein ganzer literarischer Kosmos zu entdecken: Lem, der Philosoph, der streitlustige Kritiker, Erfinder neuer Genres, Sprachkünstler und Romancier von Weltrang. So schrieb er z.B. auch gewichtige theoretische Abhandlungen und Essays zu Kybernetik, Literaturtheorie und Futurologie. Stanisław Lem zählt heute zu den erfolgreichsten Autoren Polens. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, verfilmt und in 57 Sprachen übersetzt.
Er wurde am 12. September 1921 in Lemberg geboren, lebte zuletzt in Krakau, wo er am 27. März 2006 starb. Sein Medizinstudium musste er 1941 aufgrund der Besetzung Lembergs durch deutsche Truppen unterbrechen und arbeitete fortan als Automechaniker. Lem konnte mit gefälschten Papieren seine jüdische Herkunft verschleiern; der Großteil seiner Familie kam im Holocaust ums Leben: „Ich hab Hitler gebraucht, um draufzukommen, dass ich jüdisch bin.“ Nach 1945 setzte er sein Medizinstudium fort. Lem erhielt das Zertifikat, sein Studium vollständig abgeschlossen zu haben. Allerdings weigerte er sich in seinem letzten Examen, unwissenschaftliche Antworten zu geben, weswegen ihn die Prüfer dafür durchfallen ließen. Da er deswegen aber auch nicht als Arzt praktizieren konnte, arbeitete er in der Forschung und verlegte sich immer mehr aufs Schreiben.
Stanislaw Lem beherrschte neben Polnisch auch Latein, Deutsch, Französisch, Englisch, Russisch und Ukrainisch und arbeitete auch als Übersetzer.
Wir empfehlen Ihnen die vergnügliche Lektüre eines Interviews mit ihm
- 15.11.2005 Patrick Großmann: Interview Intelligenz ist ein Rasiermesser. In: GALORE Band 17, Krakau 2005.
Darin äußerte Lem, der technische Errungenschaften, wie z.B. das Internet, mit Skepsis betrachtete und sie gerne im Kontext der Gesellschaft bewertet sah, sich zu der Frage, ob es künstliche Intelligenz gibt, folgendermaßen: „Das ist sehr einfach: Es gibt sie nicht. Jedenfalls nicht in naher Zukunft. Was ein Typ wie dieser Kurzweg im ‚Scientific American’ schreibt – dass wir bereits in 20 Jahren an der Schwelle der Fusion der biologischen Natur des Menschen mit der Technologie stünden – halte ich für reinen Unsinn. Intelligenz ist ein verschwommener Begriff, ein Modewort, das derzeit auf alles und jeden angewendet wird. Sogar meine Hosenträger sind, wenn Sie so wollen, intelligent. Immerhin kann man sie regulieren.“
© Foto: Stanisław Lem 1966, mit freundlicher Genehmigung seiner Sekretärin, Wojciech Zemek.
Geburtstagsfest des Monats
Jeden Monat feiert die Buchhandlung Rote Zora einen runden Geburtstag, von Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die den Buchhändlerinnen am Herzen liegen. Manche von ihnen sind längst verstorben. Was sie aber unsterblich macht, das ist ihr Werk, das sie hinterlassen haben. Und so stehen im Mittelpunkt der Geburtstagsfeste nicht die obligatorische Geburtstagstorte und die feiernden Gäste, sondern die Bücher der Geburtstagskinder. In der Buchhandlung wie auch im Schaufenster, wie auch auf den Social-Media-Kanälen sprechen die Buchhändlerinnen die Einladung aus, das Tor zur Weltliteratur zu durchschreiten, lesend neues kennenzulernen und altbekanntes wiederzuentdecken.
Stanislaw Lem
Best of Lem
Herausgeber: Jan-Erik Strasser
Best of Lem versammelt Erzählungen und Kostproben sowohl der berühmten, vielfach verfilmten und millionenfach gelesenen und geliebten Bücher als auch unbekanntere, aber ebenso aufregende Glanzlichter aus den 50 Jahren Lem'schen Schaffens. Nicht nur Fans von Philip K. Dick, Ursula K. Le Guin oder Cixin Liu kommen dabei voll auf ihre Kosten. Angesichts einer Gegenwart, die mehr und mehr von Künstlicher Intelligenz und menschlicher Dummheit geprägt zu sein scheint, ist der große Misanthrop und Utopist Lem zu seinem 100. Geburtstag unbedingt wieder neu zu lesen.
Suhrkamp Verlag, ISBN: 9783518471470, 12 €
Suhrkamp Verlag, ISBN: 9783518471470, 12 €
Stanislaw Lem
Der Unbesiegbare
Utopischer Roman
In ferner Zukunft landet das mächtige Raumschiff »Der Unbesiegbare« auf dem Planeten Regis III, um das Schicksal seines dort verschollenen Schwesterschiffes »Kondor« zu ergründen. Doch obwohl diese Welt unbewohnt ist, lauern hier Gefahren, die sich die selbstgewisse menschliche Besatzung zunächst nicht träumen lässt. Lem spinnt ein spannendes Weltraumgarn, wäre aber nicht Lem, wenn er sich nicht noch quasi nebenbei die Nanotechnologie, die Technoevolution und vieles mehr ausdenken würde. Ein Klassiker der SF.
Suhrkamp Verlag, ISBN: 9783518471487, 10 €
Stanislaw Lem
Sterntagebücher
Stanislaw Lem lässt seinen vielleicht sympathischsten Helden, den schlitzohrigen Raumfahrer Ijon Tichy, im Laufe seines Lebens unzählige Reisen zu anderen Welten erleben, von denen die besten in diesem Band versammelt sind. Tichy begegnet dabei gottesfürchtigen Robotern, trifft sich selbst in der Vergangenheit oder muss auch einfach mal eine intelligente, aber widerspenstige Waschmaschine dazu überreden, weiter ihren Dienst zu tun. Leserinnen und Leser tauchen mit ihm in einen Kosmos ein, der so überraschend, witzig, traurig und spannend - kurz: so überwältigend - ist wie sein Erfinder.
Suhrkamp Verlag, ISBN: 9783518471463, 10 €
Stanislaw Lem
Der futurologische Kongress
Aus Ijon Tichys Erinnerungen
Hier bleibt Ijon Tichy, der Held so vieler lemscher Erzählungen, ausnahmsweise auf dem Boden, das heißt auf der Erde. Es bedeutet allerdings nicht, dass es ihm hier langweilig würde, ganz im Gegenteil: Er wird beschossen, eingefroren, aufgetaut, betäubt, benebelt, beglückt und bekommt schließlich noch einen Rattenschwanz verpasst. Der futurologische Kongress ist eine der großen Dystopien des 20. Jahrhunderts - allerdings deutlich lustiger als die Konkurrenz von Orwell, Huxley oder Atwood.
Suhrkamp Verlag, ISBN: 9783518471456, 8 €
Alfred Gall
Stanislaw Lem
Leben in der Zukunft - Biographie
Von Kybernetik bis Zivilisationskritik: Leben und Werk eines Visionärs Er gilt als Science-Fiction-Autor, weil seine Erzählungen über den Fortschritt von Technik und Wissenschaft in kein anderes Genre gepasst hätten: Stanislaw Lems Bücher faszinieren nach wie vor Millionen von Lesern und wurden vielfach verfilmt. Doch woher kam sein Interesse für Astronauten und Raumfahrt, für Nanotechnologie und künstliche Intelligenz? Alfred Gall stellt den Philosophen, Essayisten und Autor erstmals ausführlich in einer deutschsprachigen Biografie vor und zeigt, wo die Vorliebe für futuristische Szenarien ihren Ursprung hat. Stanislaw Lem: Gefeierter polnischer Autor und vehementer Kritiker der Informationsgesellschaft. Von Solaris zum Futurologischen Kongress: Hintergrundwissen zu allen Werken und Figuren: Wissenschaft oder Literatur? Sein Durchbruch als Autor im polnischen Stalinismus: Zwischen Opposition und Emigration: sein Leben in Krakau, einem Epizentrum der Science-Fiction. Das Leben des polnischen Autors: Die erste Lem-Biografie in deutscher Sprache! Sterntagebücher, Pilot Pirx und Robotermärchen: Bücher, die lange nachwirken Er erträumte fantastische zukünftige Welten und Technologien, deren tatsächliche Umsetzung er zum Teil miterlebte - und durchaus kritisch betrachtete. In seinen Romanen und theoretischen Abhandlungen hatte Stanislaw Lem stets eine aufklärerische Wirkung im Blick. Er sah sich in seiner Autorentätigkeit untrennbar mit Wissenschaft und Technik verbunden und stellte dabei die Widersprüche und Verwerfungen der technologischen Zivilisation in den Vordergrund. Prof. Gall macht mit seinem Buch den Zusammenhang von Werk und politischen wie historischen Hintergründen sichtbar - eine umfassende Darstellung von Lems Leben und Wirken! Alfred Gall ist Professor für westslawische Literatur und Kulturwissenschaft sowie wissenschaftlicher Leiter des Polonicums an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zu seinen Forschungsinteressen zählen die polnische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, insbesondere deren Verhältnis zur Philosophie, Postkolonialismus, Literatursoziologie und Literaturgeschichte.
wbg Theiss, ISBN: 978-3-8062-4248-5, 25 €